Die Gesichter der Straflosigkeit

AMNESTY INTERNATIONAL

Presseerklärung

Venezuela: Verantwortliche für Gewalt müssen vor Gericht gestellt werden 

  1. März 2015 – Während der Proteste 2014 wurden in Venezuela 43 Menschen getötet und hunderte weitere verletzt und gefoltert. Das Versagen der Regierung dabei, diese Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, befördert weitere Missbräuche und Gewalt. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem heute veröffentlichten neuen Bericht.

Der Bericht „Die Gesichter der Straflosigkeit: Ein Jahr nach den Protesten warten die Opfer noch immer auf Gerechtigkeit“ untersucht Todesfälle rund um die Demonstrationen, die Venezuela zwischen Februar und Juli 2014 in Atem gehalten hatten. Der Bericht dokumentiert auch Fälle von willkürlichen Inhaftierungen und Folterungen. Unter den Toten und Verletzten befanden sich Demonstrierende, Unbeteiligte und Mitglieder der Sicherheitskräfte. Einige befinden sich noch immer hinter Gittern und warten auf ihren Prozess.

„Die Menschen in Venezuela sollten friedlich demonstrieren können, ohne Angst, ihr Leben zu verlieren oder willkürlich verhaftet zu werden“, sagte Erika Guevara Rosas, Direktorin für die Region Amerikas von Amnesty International. „Jeder weitere Tag der Straflosigkeit bedeutet einen weiteren Tag des Unrechts für die Opfer und deren Familien. Damit muss endlich Schluss sein“.

Während der Proteste wurden 3.351 Personen festgenommen, viele von ihnen willkürlich. Die meisten wurden ohne Anklageerhebung freigelassen. 1.404 Personen wurden jedoch angeklagt, 25 befinden sich noch immer in Untersuchungshaft.

Amnesty International hatte Zugang zu den Akten von fünf Personen in Untersuchungshaft und kam zu dem Schluss, dass sie willkürlich festgenommen worden waren. Zwei von ihnen sind inzwischen bis zum Prozess freigelassen worden.

Es gibt Beweise dafür, dass Polizeikräfte bewaffneten Pro-Regierungsgruppen erlaubte, Demonstranten und Unbeteiligte zu misshandeln und unter Einsatz von Feuerwaffen illegal in ihre Häuser einzudringen. Guillermo Sánchez starb im März 2014 nach Schlägen und Schüssen durch eine bewaffnete Pro-Regierungsgruppe in La Isabelica (Bundesstaat Valencia). Seine Frau, Ghina Rodríguez, und ihre zwei Kinder mussten das Land verlassen, nachdem sie Todesdrohungen erhalten hatten, weil sie Gerechtigkeit forderten. Sie warten noch immer darauf, dass die für Guillermos Tod Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

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Die Familienangehörigen anderer Opfer und ihre Rechtsanwälte berichteten ebenfalls von Drangsalierungen und Einschüchterungen aufgrund ihrer Forderung nach Gerechtigkeit und Entschädigung. Auch Menschenrechtsverteidiger, die über schwere Missbräuche berichtet hatten, waren das Ziel von Angriffen.

Unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstrierende und willkürliche Verhaftungen dauern auch nach den Protesten weiterhin an. In den letzten Wochen wurde ein 14-jähriger Junge in Táchira durch die Polizei getötet und der Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, wurde am 19. Februar unter zweifelhaften Umständen verhaftet.

Anstatt diese Probleme anzugehen veröffentlichte das Verteidigungsministerium Ende Januar 2015 eine Resolution, die den Einsatz aller Teile der Streitkräfte bei polizeilichen Einsätzen erlaubt, auch bei öffentlichen Demonstrationen. Auch der Gebrauch von Waffen wird bei diesen Einsätzen erlaubt. „Der Einsatz unnötiger und unverhältnismäßiger Gewalt ist genau das, was die tragischen Ereignisse des letzten Jahres verschlimmerte. Anstatt Öl ins Feuer zu gießen, indem die Armee auf die Straßen geschickt wird, sollten die venezolanischen Behörden eine eindeutige Botschaft senden, dass Gewalt nicht toleriert wird“, sagte Erika Guevara.

Personen, die während der Proteste getötet oder verwundet wurden

Der Bericht von Amnesty International dokumentiert die Vorfälle vom Februar 2014, als tausende Antiregierungsdemonstranten auf die Straßen gingen. 43 Menschen starben, darunter 8 Polizisten. 878 Menschen wurden verletzt, davon 300 Sicherheitskräfte. Der Bericht dokumentiert die Zeugenaussagen der Opfer und enthält fotografische Beweise die zeigen, dass Sicherheitskräfte Demonstrierende schlugen, folterten und sogar mit scharfer Munition auf sie schossen.

Folter und andere Misshandlungen in Haft

Amnesty International hat eine große Anzahl von Fällen dokumentiert, bei denen Inhaftierte Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt wurden. Gefangene wurden geschlagen, es wurden ihnen Verbrennungen zugefügt, sie wurden sexuell missbraucht, mit Erstickung bedroht, elektrischen Stromstößen unterzogen und mit dem Tod bedroht.

Wuaddy Moreno kehrte am 27. Februar 2014 von einer Geburtstagsparty zurück, als er unter dem Verdacht der Demonstrationsteilnahme festgenommen wurde. Auf einem öffentlichen Platz in La Grita, Bundesstaat Táchira, fügten ihm Polizisten Verbrennungen zu. Danach wurde er auf eine Polizeistation gebracht und später ohne Anklageerhebung freigelassen. Die verantwortlichen Polizisten befinden sich noch immer im aktiven Dienst und bedrohten Wuaddy und seine Angehörigen, weil sie Gerechtigkeit verlangten.

Tausende Festgenommene

Der Oppositionsführer Leopoldo López, der Bürgermeister von San Cristóbal im Bundesstaat Táchira Daniel Ceballos und der LGBTI Aktivist Rosmit Mantilla befinden sich noch immer in Haft. Alle drei gehören der Oppositionspartei Voluntad Popular an. Sie sollten entlassen werden.

Zwei Personen, die willkürlich festgenommen worden waren, wurden kürzlich freigelassen. Der Rechtsanwalt Marcelo Crovato wurde am 25. Februar freigelassen und unter Hausarrest gestellt, Christian Holdack wurde am 17 März gegen Kaution freigelassen.

Ermittlungen

In den meisten Fällen wurden die für die Misshandlungen Verantwortlichen nicht vor Gericht gestellt. Das Büro des Staatsanwalts hat 238 Berichte über Menschenrechtsverletzungen untersucht, jedoch nur in 13 Fällen Anklage erhoben.

Auch wurden laut Staatsanwaltschaft 30 Polizisten im Zusammenhang mit dem Tod von Demonstranten, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, Folter und anderen Misshandlungen angeklagt. Bis jetzt wurden drei Polizisten wegen Misshandlungen verurteilt und 14 wurden festgenommen. Für einen weiteren Polizisten wurde ein Haftbefehl ausgestellt, jedoch noch nicht ausgeführt. Die restlichen zwölf Polizisten wurden unter Auflage entlassen.