Augusto Pinochets Chile

TATSACHEN UND ZAHLEN

Der Putsch

  • Am 11 September 1973 wurde in Chile ein Militärputsch unter Anführung von General Augusto Pinochet durchgeführt.
  • Am gleichen Tag beging Präsident Salvador Allende während des Bombardements des Präsidentenpalasts Selbstmord.
  • Zehntausende Männer und Frauen wurden in der Folge festgenommen und gefoltert. Viele von ihnen werden immer noch vermisst. Tausende Menschen gingen ins Exil.
  • Amnesty International reiste im November 1973 nach Chile, um Menschenrechts­verletzungen zu dokumentieren und veröffentlichte einige Monate später einen Bericht.
  • Ein im Oktober 1988 abgehaltenes Plebiszit beschloss das Ende der Militärherrschaft und im Jahr 1989 wurden Wahlen abgehalten.
  • 1991 übernahm Patricio Aylwin die Regierung als Chiles Präsident.
  • Augusto Pinochet starb am 10. Dezember 2006. in Santiago. Bis Ende November 2006 war dem Einundneunzigjährigen die Immunität in insgesamt sechs Anklagefällen abgesprochen worden. Durch seinen Tod am 10. Dezember konnte er nicht mehr vor Gericht gestellt und verurteilt werden.

Zahlen

  • Im Jahr 1991 wurde im so genannten „Rettig-Bericht“ festgestellt, dass 2.296 Personen als Opfer von Menschenrechtsverletzungen von den Sicherheitskräften aus politischen Gründen getötet worden waren, während fast 1.000 Personen Opfer gewaltsamen „Verschwindens“ wurden.
  • Im Jahr 2004 veröffentlichte die Valech Kommission einen zusätzlichen Bericht, der 28,459 Fälle illegaler Festnahmen dokumentierte – in den meisten Fällen wurden die Festgenommenen gefoltert.
  • In einer letzten Überarbeitung der Resultate der Valech Kommission wurden insgesamt mehr als 40.000 Opfer von Menschenrechtsverletzungen während der Jahre zwischen 1973 und 1990 festgestellt. Die Gesamtzahl der offiziell als „verschwunden“ oder ermordet anerkannten Personen beträgt 3.216, während 38.254 Personen als Überlebende politischer Haft und/oder Folter anerkannt wurden.

 

Chiles „Amnestiegesetz”
Im März 1978 lieferte das Dekret 2191 – das so genannte „Amnestiegesetz“ – eine Blanko-Amnestie für fast alle Verbrechen, die zwischen dem 11. September 1973 [dem Putsch] und dem 10. März 1978 begangen worden waren. Einige Richter wendeten das Gesetz an, um Mitglieder der Streit- und Sicherheitskräfte von aller Verantwortung für Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen Menschrechtsverletzungen freizusprechen.

  • Seit 1998, nach der Verhaftung General Pinochets in London, vermieden einige Gerichte die Anwendung des Amnestiegesetzes bei ihren Urteilen. Jedoch hat es weiterhin Gültigkeit und wurde auch angewendet.
  • Laut dem letzten Bericht der UN-Arbeitsgruppe über erzwungenes und unfreiwilliges „Verschwinden“ haben in 34 Fällen von erzwungenem oder gewaltsamem „Verschwinden“ keine Ermittlungen stattgefunden weil die Gerichte das Amnestiegesetz angewendet hatten.
  • Im Jahr 2006 urteilte das Interamerikanische Gericht für Menschenrechte, dass das Amnestiegesetz unvereinbar mit Chiles internationalen rechtlichen Verpflichtungen sei, dass bei allen Menschenrechtsverletzungen Ermittlungen aufgenommen und die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden müssen.
  • Laut offizieller Zahlen wurden seit dem Jahr 2000 etwa 800 Personen verurteilt oder angeklagt. Ein Drittel der Urteile sind endgültig. Gegenwärtig sind noch mehr als 1.000 Strafverfahren anhängig.
  • Bis 2010 wurden viele Fälle über Menschenrechtsverletzungen, die von Pinochets Sicherheitskräften begangen worden waren, durch Militärgerichte entschieden.
  • Trotz der Militärjustizreform von 2010 werden Verfahren über Menschenrechts­verletzungen, in denen gegen Polizei- und Militärkräfte ermittelt wird, immer noch vor Militärgerichten verhandelt ohne adäquate Garantien auf Unabhängigkeit und Fairness.

Haftzentren

Während Pinochets Regierungszeit entstanden über ganz Chile verteilt Hunderte Haftzentren, in denen Personen festgehalten und gefoltert wurden. Viele wurden nie wieder gesehen.

 

FORDERUNGEN ZUR BEENDIGUNG DER STRAFLOSIGKEIT

Es müssen alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung in Fällen von Menschenrechtsverletzungen abzusichern.

Die Vergangenheit der massiven Verletzungen der Menschenrechte in Chile während der Zeit 1973 bis 1990 ist eine offene Wunde, die nicht zu bluten aufhört. Obwohl es relevante Fortschritte gegeben hat in der Durchführung der Prozesse gegen die der Menschenrechtsverletzungen Verdächtigen, wie auch in der Entwicklung von Mechanismen zur öffentlichen Anerkennung der Opfer solcher Verbrechen sowie zu Angeboten über Entschädigungsmaßnahmen, gibt es noch viel zu tun, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung für die Opfer und ihre Familien zu erreichen. Es ist vor allem notwendig, die Mechanismen zu fördern, die es erlauben, alle Fälle von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen und die dafür Verantwortlichen mit Strafen zu belegen, die der Schwere der begangenen Verbrechen entsprechen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass den Opfern koordinierte Maßnahmen zur Wiedergutmachung gewährt werden, nach transparenten, permanenten und qualitativen Kriterien für deren Anerkennung.

Daraus resultiert die enorme Bedeutung der sofortigen und ausnahmslosen Ratifizierung der Konvention über die Nicht-Verjährung für Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverbrechen ebenso wie der Annullierung des „Amnestiegesetzes“, wie vom Interamerikanischen Gericht für Menschenrechte gefordert, und der Einordnung des Verbrechens des gewaltsamen „Verschwindens“, so wie es die internationale Konvention zu diesem Thema vorschreibt.

Auch müssen die Maßnahmen zur Wiedergutmachung Garantien der Nicht-Wiederholung enthalten. Das bedeutet die Annahme von Maßnahmen, die sicherstellen, dass die in der Periode 1973-1990 begangenen Gräuel nicht wieder begangen werden dürfen. Für den Fall ihres Wiederaufkommens müssen sie adäquat untersucht, gerichtet und bestraft werden. Deswegen ist es notwendig, die Orte der Erinnerung und des Gedenkens der Menschenrechte durch andauernde und permanente Politiken zu fördern und zu stärken. Dieses muss begleitet sein durch eine adäquate Einbeziehung der Menschenrechtserziehung in den Plänen und Programmen des Studiums. Dieses würde zur Aufrechterhaltung des historischen Gedenkens in Chile beitragen, zum Respekt der Menschenrechte erziehen und verhindern, dass sich die Gräuel der Vergangenheit wiederholen.

Gleicherweise ist es von großer Bedeutung, dass bei Menschenrechts­verletzungen, die sich in der Gegenwart ereignen könnten, entsprechend ermittelt, Recht gesprochen und bestraft wird. Hier ist es dringend, dass die Kompetenzen der Militärjustiz modifiziert werden, so dass bei durch Militär oder die Uniformierte Polizei begangenen Menschenrechtsverletzungen, diese durch die zivile Justiz und nicht durch die Militärjustiz verhandelt werden, wodurch die notwendige Unabhängigkeit und Fairness gesichert werden würde. Zu dieser Änderung wurde der chilenische Staat bereits vom Interamerikanischen Gericht für Menschenrechte aufgefordert, ein Gerichtsspruch, dem nur teilweise entsprochen wurde.